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Joachim Materna & Ellen Kuhn

FLORENZ & TOSCANA. Impressioni e Momenti.

Aktualisiert: 18. Okt. 2022


Postkarten-Szenario eins.

Am Horizont senkt sich die mediterrane Abendsonne langsam den umgebenden, sanft geschwungenen Hügeln und Bergen entgegen und schickt ein letztes warmes Licht in die Gassen. Das Mauerwerk der mittelalterlichen Gebäude und die roten Ziegel der Dächer tauchen in ein erst helles, dann immer dunkleres Umbra-Rotbraun. Vom Duomo her, der Kathedrale von Florenz, schallt das dumpfe Schlagen der Glocken im Campanile. Nur einen Wimpernschlag später setzt das erkennbar hellere Klingen der Glocken im Palazzo Vecchio ein, die die lange Geschichte dieser italienischen Stadt seit Jahrhunderten in vergleichsweise mikroskopische Zeiteneinheiten von Viertelstunden teilen. Der Blick von der Terrasse unserer Mietwohnung in der obersten Etage eines Hauses im Centro storico, dem historischen Zentrum, ist „mozza fiato“ – atemberaubend. Aber damit nicht genug. „Firenze“ bedient alle Sinne. Auf der kleinen, mit Pflastersteinen bedeckten Piazza vor dem Haus richten die Kellner die Tische für den Abend, während sie in lockerer Fröhlichkeit aus voller Kehle - fast wie die Tre Tenori - italienische Ohrwürmer trällern. Der aus der Küche des Ristorante bis hier oben aufsteigende Duft nach Pizza und Pasta, Oregano und Rosmarin ist es schließlich, der jede träumerische Schwärmerei in luftiger Höhe unterbricht und zum Aufbruch hinein in das Gewimmel vier Etagen tiefer zwingt, wo noch unendlich mehr Genüsse warten. Vorausgesetzt der offene, ebenfalls sehr historische, an einen Metallkäfig erinnernde Aufzug tut auch dieses eine Mal noch ächzend und quietschend seinen Dienst.

Postkarten-Szenario zwei.

Wie klingt das? Bitte auf der Zunge zergehen lassen. Artischocken Souffle, Rote Bete Carpaccio mit Stracciatella di bufala, Trüffel Ravioli, Beef Carpaccio, dazu ein Chianti Classico aus heimischem Anbau. Und als Dessert ein Tiramisu Mille Feuille alla casa. Da muss unweigerlich jedem das Wasser im Mund zusammenlaufen. Nimmt man dann noch die umgebende Kulisse dazu, ist die filmreife Szenerie perfekt. Die Terrasse dieses Restaurants in einem mittelalterlichen Steinhaus in Montefioralle erlaubt einen offenen Blick weit hinaus über die toskanischen Hügel, deren Rücken ein Band aus Zypressen ziert. Grüne Wiesen kontrastieren hervorragend zu den abgeernteten, gelblichen Feldern, über denen die sommerliche Hitze flirrt. Da ist man für einen Platz unter den Sonnenschirmen mit ihren gelb-blauen Pastellfarben und für das kühle Aqua Naturale dankbar. Die Pasta? „Die macht unsere Mama jeden Tag frisch.“ Der Vino? „Der kommt von unserem eigenen Rebenhang dort drüben hinter dem ersten Hügel.“ Mehr Toskana geht nicht.

Wie oft reist man zu Traumdestinationen mit Bildern und Visionen wie diesen im Kopf, um dann vor Ort nach und nach Abstriche zu machen, Korrekturen vorzunehmen und erste Enttäuschungen schön zu reden. Ganz anders in Florenz und in der umgebenden Toskana. Hier werden scheinbar alle Klischees erfüllt. Theaterkulisse und Filmszenerie verschmelzen zu einer erlebbaren Realität. Natürlich sind sich die Verantwortlichen im lokalen Tourismus dieser Wirkung seit Jahrzehnten bewusst und tun alles dafür, dieses Image zu konservieren oder sogar noch zu steigern. Aber auch wenn einem selbst diese gezielte und manipulative Inszenierung gegenwärtig ist, kann man sich ihrer dennoch nicht entziehen. Und schon steckt man mitten in dieser Ambivalenz zwischen antrainierter Skepsis einerseits („das ist doch alles so künstlich wie ein Hula-Hula-Tanz auf Hawaii“) und emotionaler Zügellosigkeit andererseits („Oh mein Gott, ist das schön“).

Und dieser innere Konflikt wird permanent wieder aufgefrischt und geboostert. Ein Beispiel. Riesige Parkplätze kanalisieren vor den Toren Sienas den Zustrom autofahrender Touristen, die dann mit Hilfe eines ausgeklügelten Rolltreppen-Systems fast bis zur zentralen Piazza del Campo transportiert werden - teilweise genau in dem Berg verlaufend, auf dem die weltberühmte Stadt thront. Vor kurzem noch hat uns ein ähnliches, hochtechnisiertes System beim Besuch der chinesischen Mauer in ungläubiges Staunen versetzt. Aber nun auch hier? Im Zentrum des Mittelalters, wo wir eher ein Mitglied der Medici-Familie zu Pferd erwartet haben? Gut, diese Fiktion mag vielleicht auch dem Umstand entspringen, dass wir uns parallel zu unseren drei Wochen in Florenz alle drei Staffeln der Medici-Verfilmung zu Gemüte geführt und damit 60 Stunden florentinische Zeitreise zu verarbeiten hatten. Bummelt man dann aber wenig später durch die Gassen, vergisst man alle befremdlichen ersten Eindrücke. Dank dieser sich mit jedem Schritt verstärkenden retrograden Amnesie fokussiert man alle Konzentration auf den einmaligen Flair und das Ambiente. Genauso hat man sich alles vorgestellt und genauso hat man es nun bekommen. Gibt man sich dann auch noch bei einem Cafè, einem Aperol oder einem Negroni dem „Dolce far niente“ am Piazza oder in einem versteckten italienischen Lokal hin („Alle Kuchen werden von meiner Mama selbst gebacken…!“), erreicht die Gechilltheit ein Grad, als gäbe es kein Gestern („ieri“) und kein Morgen („domani“).

Und dann gibt es da noch die Repeat-Taste. Die Örtchen und Städtchen der Toskana hatten offensichtlich den gleichen Baumeister und die gleichen Tourismusberater. Egal ob Siena, Montepulciano, Arezzo, San Gimignano, Pienza, Montalcino oder all die anderen, das Prinzip ist fast immer das gleiche - entstanden im mittelalterlicher Bauboom dieser Region (unter anderem auch dank der Medici), meist auf einem Berg gelegen, eine Piazza früher wie heute als Zentrum des Lebens und eine oder mehrere repräsentative Kirchen und Palazzos, die sich meist sehr dekorativ um den Piazza centrale gruppieren. Ein klein wenig anders ist am ehesten San Gimignano, das man nicht ganz zu Unrecht als das Manhattan der Toskana bezeichnet. Irgendein reicher Bürger kam bereits im 12. und 13. Jahrhundert auf die Idee, dass man doch auch in die Höhe statt nur in die Breite bauen könnte. Die sogenannten Geschlechtertürme dienten gleichzeitig als Wohnsitz und Verteidigungsanlage für einflussreiche Adels- und Handelsfamilien. Wer wollte da schon zurückstehen, der Reichtum-Poker war eröffnet - mein Auto, meine Yacht, mein Turm.

Aber diese Kopien und Wiederholungen des Städtebildes tun der Faszination jedes einzelnen Städtchens absolut keinen Abbruch, wenn man es nicht mit den Anlaufpunkten und Sehenswürdigkeiten innerhalb eines Tages übertreibt. Und wenn man Gruppen meidet, also am besten selbst sein Fortbewegungstempo bestimmt und mit dem eigenen Wagen das ansteuert, was zur Stimmung des Tages passt.

Das gibt einem auch die Möglichkeit, einfach durch die Landschaft zu schweifen, sich vielleicht sogar ziellos treiben zu lassen. Auch wenn das Gefährt nicht ein Fiat 500 oder eine Vespa ist, der Italian Mood ist dennoch garantiert. Plötzlich sind sie da wieder überall, diese weichen, grünen Hügel, zu denen die Zypressen so untrennbar dazu gehören wie der schiefe Turm zu Pisa. Das Valle d’Orcia steht im Ranking der Landschaftsfotografen zurecht weit oben. Aber solch eine Wertung wäre viel zu fokussiert und wäre ungerecht gegenüber all den anderen Bilderbuch-Szenarien rund um Arezzo, um Montefioralle, dem gesamten Chianti und den vielen anderen versteckten Ecken.

Fährt man dann zurück nach Florenz, ändert sich die Kulisse, zumindest vorübergehend. Manche der Vororte holen einen wieder auf die Seite Italiens zurück, die es ja auch noch gibt, wie fast überall auf der Welt und vor allem im Dunstkreis großer Städte. Italiens Wirtschaft ist seit Jahrzehnten einem heftigen Auf und Ab ausgesetzt, Regierungen werden häufiger ausgewechselt als die Bettwäsche in den Hotels und nach wie vor besteht ein krasser Unterschied im Wohlstand und damit auch im Lebensstil zwischen dem Norden und dem Süden des Azzurro-Landes. Von den korrupten und mafiösen Strukturen ganz zu schweigen, gegen die einige wenige, idealistische Politiker einen einsamen Kampf führen. Auch hier im Ring um Florenz sind die Versuche einer Industrialisierung erkennbar, weg vom kleinen familiären Betrieb hin zur international konkurrenzfähigen Firma. Aber manchmal täuscht der erste Eindruck. In Prato, einer Stadt, die im Nordwesten von Florenz liegt und mittlerweile mit ihr übergangslos verwachsen ist, ist fast die gesamte Industrie (vor allem in der Textilbranche) fest in chinesischer Hand. Von 200.000 Einwohnern Pratos sind 50.000 Chinesen (nicht gezählt mehrere Zehntausende Illegale), die Prato zur drittgrößten Stadt Mittelitaliens anwachsen ließen. Viele der chinesischen Arbeiter wohnen auf Zwischendecken, die in den Werkshallen eingezogen wurden, weshalb Enrico Rossi, der Präsident der Region Toskana, auch von moderner Sklaverei sprach, die allerdings nur schwer zu unterbinden ist. Will sich die Fremdenpolizei einen der Chinesen greifen, verlassen diese das Land ebenso schnell und anonym, wie sie gekommen sind.

Ein Auto ist in Florenz für Ausflüge in die Toskana ungemein hilfreich. Wohnt man allerdings sehr zentral, ist das Verkehrssystem selbst für Globetrotter eine echte Herausforderung. Nicht nur weil die Strassen und Gassen zentripetal immer enger werden, sondern weil das Einbahnsystem ein schier unbezwingbares Labyrinth erzeugt, das selbst eingefleischte Florenz-Kenner und manchen Einheimischen zur Verzweiflung bringt. Selbst das beste Navigationssystem kapituliert früher oder später. Eigentlich ist man nur noch eine Strasse vom Ziel entfernt, muss dann aber wegen der falschen Richtung des „Senso unico“ wieder völlig heraus aus dem Stadtzentrum, zurück auf Anfang und muß etwa 30 bis 40 Minuten in einen neuen Anlauf investieren. Für uns war es nur eine Frage der Zeit, wann unser GPS einen Sirenen-Heulton ausstoßen würde. Einzige Lösung sind die in den Gassen versteckten Park-Garagen, die einen sehr angenehmen Service anbieten, indem sie den Wagen abholen und auch wieder vor die Tür bringen. Gegen eine entsprechende Servicegebühr versteht sich, die man aber nach dem ersten Nervenzusammenbruch gerne entrichtet.

Blickt man dann von der Dachterrasse seiner Mietwohnung auf Florenz ist mal wieder alles vergessen. Für eine gewisse Zeit im Fadenkreuz beheimatet zu sein zwischen dem Duomo, dem Palazzo Vecchio, den Uffizien, der Galleria Dell’ Accademia und dem Piazza della Republica und zwischendurch über die Ponte Vecchio zum Supermarkt auf der anderen Seite des Arno zu schlendern, vermittelt ein unbeschreibliches Lebens- und Glücksgefühl. In der engen Via Calimarruza hinter Einheimischen beim Gemüse- und Obsthändler zu stehen, der einen dann in der zweiten Woche wiedererkennend lächelnd mit einem „Ciao, come stai oggi“ (na ,wie geht`s denn heute) begrüßt, das hat schon was. Natürlich gehört auf dem Weg ein Abstecher in eines der vielen Cafes dazu, wo man an der Bar stehend einen schnellen Espresso mit einem Cornetto geniesst (an die Tische setzen sich nur Touristen…), mit Matteo über den Einstand von Ribery beim AC Florenz plaudert und sich auf dem Heimweg der Illusion hingibt, man wäre schon ein wenig Italiener. Unbestreitbar hat ein Besuch der Stadt in Zeiten von Corona Vorteile, da man sich Florenz nicht mit den üblichen Menschenmassen teilen muss, die in normalen Zeiten jedes Jahr durch die Gassen strömen. Ungefähr zehn Millionen Übernachtungen pro Jahr sprechen eine deutliche Sprache, darunter etwa 70 Prozent Ausländer (vor allem Amerikaner, Deutsche und Japaner). Das sichert den Lebensunterhalt vieler der etwa 370.000 Einwohner, ist aber auch Herausforderung und Belastung zugleich.

Ächzend erreicht der Aufzug die oberste Etage. Zwei Personen und vier Einkaufstaschen scheinen die absolute Belastungsgrenze zu sein. Zwei Stühle auf der Terrasse. Zwei gekühlte Dosen Birra Moretti in der Hand. Die Uhr des Palazzo Vecchio schlägt mal wieder eine Viertelstunde in der unaufhaltsamen Geschichte dieser wunderschönen Stadt und ihrer ebenso traumhaften Umgebung. Die Welt ist in Ordnung.

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