Ocean Drive. Miami Beach. Abendstimmung. Eine röhrende, tiefrote Corvette Stingray C7 Cabrio passiert einen am Strassenrand geparkten himmelblauen Ford Thunderbird Baujahr 1965, dessen weisses Cabrio-Dach dekorativ nach hinten abgekippt ist. Am Steuer der vielen offenen Luxus-Schlitten sitzen braun gebrannte Modellathleten in vor Muskeln berstenden T-Shirts oder Armani-Anzug-Träger, deren Lässigkeit nicht mehr zu übertreffen ist.
Allenfalls die ein oder andere von den unendlich vielen, am Strassenrand stolz und unnahbar dahin schreitenden Mannequins, die ihren perfekten Body durch die hautengen Schlauchkleider und die schon unverantwortlich hohen High Heels lasziv betonen, können eine unmerkliche Drehung des top-frisierten Kopfes der Edel-Karossen-Besitzer provozieren.
Am Strassenrand wiegen sich die Palmen im Wind, die sinkende Sonne über dem nahen Meer schafft minütlich wechselnde Rot-Tönung und gibt dem breiten feinen Strand, aber auch den vielen stilvollen Gebäuden am Ocean Drive einen stimmungsvollen Anstrich.
Der Art Deco Stil der Häuser mit seinen unzähligen Nuancen von Rosa, Türkis, Himmelblau erscheint dabei ein schon ganz selbstverständlicher Teil der Traum-Kulisse, zu der die kubanischen Rhythmen der Live-Bands aus Bars und Restaurants fast zwangsläufig dazu gehören….
Traum? Wunsch? Klischee?
Nein - diese Version des OceanDrive in South Beach ist wirklich Realität. Eine gekonnt gepflegtes und gerne präsentiertes Image, bei dem Narzisten, Einmal-ein-Star-Sein-Touristen und eine professionelle Werbeindustrie unbewusst oder bewusst sich wundervoll ergänzen. Wie viele Normal-Touristen wären enttäuscht, falls es nicht so wäre. Wenn sie nicht für ein paar Stunden und Tage Teil einer anderen, glitzernden Welt werden könnten. Aber so fährt man nach Hause und ist zufrieden, weil alles so ist wie erwartet.
Und man ist geneigt zu vergessen, dass man für eine Parkstunde am Drive bis zu 20 Dollar zahlen musste. Dass der Drink am Ocean Drive vier Mal so viel kostete wie im besten Lokal zu Hause. Dass um einen herum eigentlich niemals echte Stars, sondern auch nur aufgepeppte „Normalos“ saßen. Wobei man sich nach dem ein oder anderen den Hals reckte, weil irgendjemand erzählte, dass dort drüber einer säße, der vielleicht jemand ähnlich sieht. Aber vielleicht war er es ja. Wer auch immer.
Und irgendwann kann niemand mehr dieser Atmosphäre aus mitreissenden Rhythmen lateinamerikanischer Musik, den Flashs buntester Neon-Leuchtreklamen und lachenden und tanzenden Menschen widerstehen. Spätestens nach dem dritten Mojito hat man das Gefühl, man ist Teil des Ganzen und erwartet jeden Augenblick, dass die ultralässigen Jungs von Miami Vice oder CSI Miami vorfahren.
Vielleicht ist man unter dem Eindruck von all dem geneigt zu vergessen, dass Miami Beach es einem wirklich nicht leicht macht mit seiner Ambivalenz aus positiven und nicht so positiven Momentaufnahmen:
Postkarten-Motive rund um die Beaches en masse, aber nur attraktiv für den, der sich an den endlosen Reihen von Wolkenkratzern direkt dahinter nicht stört.
Ein Licht, das seines Gleichen sucht und den Fotoprofi zu bestimmten Tageszeiten in Verzückung geraten lässt und das unterstrichen wird von rasch wechselnden klimatischen Bedingungen. Mal stahlblauer Himmel, mal bedrohliche Gewitterstimmung bis hin zur Schwärze eines aufziehenden Hurricans und dann wieder Sonnenstrahlen, die durch dichte Wolkenbanken brechen und die Menschen bald wieder an die Strände locken. Alles innerhalb weniger Stunden. Um dann sofort wieder überzugehen in sintflutartige Regenfälle und Stürme, die selbst Hartgesottenen Angst einjagen können.
Die vornehmen Villen-Gebiete von South Beach, deren idyllische Strassen von den schönsten und best gepflegtesten Palmen gesäumt werden, die man sich vorstellen kann. Aber dann wieder mitten durch Miami Beach vier- bis sechsspurige Strassen, die ebenso stundenlang verstopft sind wie die wenigen Verbindungs-Brücken hinüber nach Miami City.
Eine unendliche Zahl an Supermärkten und Restaurants jeder Kategorie, wo es alles gibt, was das Herz begehrt. Aber zu Preisen, die gelinde gewöhnungsbedürftig sind. Ganz abgesehen von den typisch amerikanischen Zeremonien rund um das „freiwillige“ Tipp - Trinkgeld-Riten, die teilweise mehr als lästig sind.
Ein Sport- und Unterhaltungsprogramm, das keine Langeweile aufkommen lässt. Aber natürlich darunter auch die uramerikanischen Leidenschaften Baseball und American Football, zu denen auch der ernsthaft bemühte Mitteleuropäer nur schwer Zugang findet.
Und dann natürlich die Chance, Miami Beach als Sprungbrett für Ausflüge in den Rest Floridas zu nutzen. Zum Beispiel ein Tages- oder Wochenend-Trip in die Keys bis hinunter nach Key West. Wie wunderschön das türkis Wasser rund um die Inseln glitzert. Und in Key West entdeckt der Amerikaner sogar so etwas wie seine Historie und präsentiert dies zum Beispiel charmant im Hemingway House. Oder man fährt hinüber an den Golf von Mexiko z.B rund um Naples. Wo die Menschen noch sympathisch einfacher und nicht so großstädtisch sind wie an an der Ostküste. Und unterwegs darf natürlich die Fahrt mit dem Airboat durch die Everglades nicht fehlen - see you later, Alligator!
Arbeitszimmer von Ernest Hemingway im Hemingway House, Key West.
Was bleibt nach 3 Monaten Leben in Miami Beach? Mixed Emotions. Man kann sich der Faszination nicht entziehen, aber man lernt auch viele Schattenseiten des Alltags dieses Traumzieles kennen. Aber ist es nicht fast überall so in den Traum-Locations dieser Welt? Und hängt das nicht auch ganz stark von den eigenen Erwartungen und von der eigenen Stimmung, Verfassung und Situation ab?
Aber spielt das wirklich noch eine Rolle, wenn die Sonne tiefrot untergeht, sich die Körper in vertrauter Umarmung fast unmerklich zum Song von Enrique Iglesias bewegen (der Sänger dieser Band sieht ihm wirklich täuschend ähnlich oder ist er es vielleicht sogar...?), sich die Palmen leicht im Wind wiegen und dieser Mojito einfach unbeschreiblich gut schmeckt.
© Bilder und Text TRAVEL-EDITION, Fotolia (#115541528)