Auf Bali haben sich die Menschen über Jahrhunderte eine ganz eigene Religion und eine ganz eigene kosmische Weltanschauung bewahrt. Es gibt Götter und Natur, Magie und Irdisches, Gutes und Böses. Aber dies alles sind keine Gegensätze, sondern die guten, göttlichen Kräfte und die dunklen, dämonischen Mächte existieren permanent nebeneinander und es ist die Aufgabe der Balinesen, die Balance dieses kosmischen Gleichgewichts ständig durch Opfer, Rituale und Zeremonien zu bewahren. Besänftigt man die Dämonen und stimmt man die Götter milde, helfen alle gemeinsam, dass die Menschen glücklich und friedvoll leben können.
Über das ganze Jahr verteilt (oft orientiert an den Mondphasen) gibt es neben den unzähligen kleineren Zeremonien auch einige grössere Feste. Im rituellen Jahreskalender der Balinesen ist Galungan-Kuningan die wichtigste Feiertagsperiode, vergleichbar unserem mehrtägigen Weihnachtsfest. Es beginnt mit dem Galungan-Tag, der stets auf einen Mittwoch fällt und auf den nach zehn Tagen der Kuningan-Festtag folgt, so daß sich mit den Vorbereitungen und Zeremonien an den Tagen vor und zwischen den beiden Terminen eine ganze Festperiode besonders heiliger Tage ergibt.
Gewidmet ist Galungan dem allerhöchsten göttlichen Wesen Sangyang Widi, dem allumfassenden Schöpfer und Herrn des Universums, einer als abstrakt empfundenen Übergottheit der Balinesen.
Während bei unserem Weihnachtsfest Gott seinen Sohn Jesus auf die Erde schickt, steigt bei den Balinesen zum Galungan-Fest Sangyang Wifi selbst zusammen mit anderen Gottheiten und den vergöttlichten Ahnen von seinem Sitz auf dem Berg Gunung Agung (dem weltberühmten Vulkan) in die Tempel zu den Menschen herab, um während der zehntägigen Festperiode bis zum Kuningan-Tag bei ihnen zu verweilen, bis sie dann wieder zum Himmel emporsteigen.
Die Festvorbereitungen an den Tagen vor Galungen folgen speziellen traditionellen Regeln bzw. einem bestimmten Zeitplan, und alle Familien der Dorfgemeinschaft nehmen daran teil. Zu den vorbereiteten Opfergaben gehören kleine Süßigkeiten, die die Frauen aus Reismehl oder Hefe zubereiten. Statt der in westlichen Kulturen an Weihnachten üblichen Weihnachtsgans müssen auf Bali große Mengen von Hühnern und Schweinen ihr Leben lassen, aus denen man phantasievolle und aufwändig gestaltete Opfergaben und schmackhafte Gerichte herstellt. Ein Teil davon wird natürlich auch den bösen Geistern dargebracht, die gleichfalls bedacht werden müssen, um das Gleichgewicht und das Dorf vor Unheil zu bewahren.
Der westliche Weihnachtsbaum hat auf Bali ebenfalls einen gewissen, wenn auch sehr weit entfernten Verwandten mit anderem Sinngehalt. Zu den auffallendsten Festvorbereitungen am Vortag von Galungan gehört nämlich das Aufstellen der Penjors, mit denen die Dorfstraßen geschmückt werden. Dies sind lange verzierte Bambusstangen, deren Spitzen sich in einem anmutigen Bogen zur Straßenmitte hin neigen. Daran sind kunstvoll aus Palmblättern, Früchten und Blumen gearbeitete Opfergaben aufgehängt. Sie stehen vor fast jeder Haustür und sind symbolischer Dank an Sanghyang Widi für seine Güte, den Menschen Leben und Wohlstand zu schenken und die Früchte auf den Feldern wachsen zu lassen. Vor dem Eingang jedes Hauses (was auf Bali eher einer kleinen Ansiedlung mehrerer Häuser und eines kleinen Haustempels entspricht) wird zudem ein kleiner Bambusaltar aufgestellt.
Das westliche Weihnachten ist traditionell das Fest der Familien. Auch auf Bali ist an Galungan jedermann bemüht, an seinem Heimatort, am Stammsitz seiner Familie zu sein, um das Fest zusammen mit den Angehörigen zu begehen. Schließlich ist es der Tag, an dem die Gottheiten aus den himmlischen Sphären in die Haus-Tempel herabsteigen und auf den für sie reservierten Thronsitzen Platz nehmen. Während ihres Aufenthaltes auf der Erde bis zum Kuningan-Tag erwartet die Götter und Ahnen ein vielfältiges Festprogramm, das den ganzen kulturellen Reichtum und die Pracht religiöser Ausdrucksformen der Balinesen offenbart. Dabei gehen, ganz typisch für Bali, spirituelles Ritual und weltliches Vergnügen nahtlos ineinander über und haben problemlos nebeneinander ihren Platz.
An den balinesischen Festtagen zieht es die Balinesen in ihren besten Kleidern und festlich geschmückt schon am frühen Morgen zu den Familienschreinen und in die Tempel, in denen nun Hochbetrieb herrscht. In den Tempeln türmen sich opulente und phantasiereich gestaltete Opfergaben von Speisen, z. B. aus Reisteig oder Fleisch, Flechtwerk und Blumen. Mit sicherem und stolzem Schritt tragen die Frauen immer neue kunstvoll zu hohen Türmen aufgeschichtete Opfergaben auf den Köpfen herbei. In feierlichen Zeremonien werden sie vom Brahmanen-Priester gesegnet und jetzt als geheiligt wieder zu den Häusern zurückgebracht, wo man sie in der Familie gemeinsam verzehrt.
Zur Erbauung von Göttern und Menschen ziehen Gläubige in prunkvollen Gewändern als Festprozession durch die Straßen zu den Tempeln. Tänze und Theateraufführungen sorgen bei göttlichen Gästen und Gläubigen für angenehmen Zeitvertreib. Dazu gehören traditionell die Schattenspieler und der magische Barong und über allem schwebt der unverwechselbare Klang des Gamelan-Orchesters.
Abseits aller Festaktivitäten ist Galungan auch ein Anlaß zur inneren Einkehr und Kontemplation. Die Gedanken der Menschen gehen zurück zu Ihren Verstorbenen und Ahnen, die jetzt auch in Ihren Häusern verweilen und mit Gebeten und Opfern geehrt werden.
Kuningan ist der letzte Tag des vorübergehenden Aufenthaltes der Götter und Ahnen auf der Erde. Bevor sie wieder zum Himmel aufsteigen, werden ihnen letzte Opfergaben aus Früchten, Kuchen und Fleischspeisen dargebracht.
Am Folgetag findet eine letzte große Tempel-Prozession beispielsweise zur Schildkröteninsel Serangan vor der Südküste Balis statt, auf der das Schildkrötenfest stattfindet. Auch hier vermischen sich tiefe Gläubigkeit im Tempel mit westlicher Geschäftstüchtigkeit an den unzähligen Verkaufsständen im Umfeld.
Galungan-Kuningan bietet unvergessliche Einblick in die tiefe, unverfälschte Religiosität der Balinesen, weitab jeder folkloristischer Inszenierung, sondern lebendiger Ausdruck der realen Glaubenswelt und des alltäglichen Lebens der Balinesen.
© Bilder und Text TRAVEL-EDITION - www.travel-edition.net & © travelART by ELLEN